Matthias Bleyl: Monolithische Systeme und Ortsspezifik im Werk Jochen Kitzbihlers
Prof. Dr. Matthias Bleyl, Berlin über die skulpturalen Grundlagen der Werke Kitzbihlers (Dt. / Engl.).
Ein Textauszug aus der Publikation "Monolithische Systeme" (modo 2006)
Bild: Oseok | 2003 | International Sculpture Symposium Icheon, Korea | schwarzer Basalt-Findling | eingeschnitten, partiell geschliffen | 320 x 160 x 100 cm
Picture: Oseok | 2003 | International Sculpture Symposium Icheon, Korea | black basalt erratic block | incut, partially grinded | 320 x 160 x 100 cm
Matthias Bleyl
Monolithische Systeme und Ortsspezifik im Werk Jochen Kitzbihlers
Jochen Kitzbihler ist ein authentischer Steinbildhauer. Zwar gibt es von ihm durchaus zeitlich begrenzte Rauminstallationen unter Zuhilfenahme von Holz statt Stein, doch sind sein Vorgehen wie sein Ziel grundsätzlich monolithisch orientiert; dies gilt gleichermaßen für Innenraumskulpturen, Außenprojekte und auch für seine Fotografie. Mit anderen, verallgemeinernden Worten, ihn interessiert der Stein, er bearbeitet ihn skulptural, und die Werke sind ortsspezifisch.
Skulptur ist als subtraktive Technik zu verstehen, also ein Vorgehen, das einen massiven Block voraussetzt - sei er aus Stein, Holz oder ähnlichen harten Materialien -, von dem Materie weggeschlagen, also subtrahiert wird und somit im Gegensatz zu den additiven Verfahren der plastischen Techniken steht. In diesem Sinn verfährt Kitzbihler durchaus traditionell, denn er geht vom geschlossenen Steinblock, dem Monolithen, aus und behandelt ihn im engsten Sinn des Wortes bildhauerisch. Dies geschieht jedoch nicht mehr mit Hammer und Meißel, sondern mit modernster Technik. Einschränkend muß hier aber differenziert werden: Das heutige Schneiden des Steins mittels der Säge ist eigentlich nur ein beschleunigtes Meißeln im Mikrobereich, insofern jeder Sägezahn wie ein kleiner Meißelschlag auf den Stein trifft und ihn in enormer Geschwindigkeit geradezu pulverisiert. Kitzbihler spaltet, sägt und schleift den Stein, und das Ergebnis seiner Bearbeitungen sind dann auch keine plurimateriellen, raumfüllenden Installationen, wie sie sich in den letzten Jahrzehnten in der internationalen Kunstszene bevorzugt verbreitet haben. Zwar sind viele Werke Kitzbihlers durchaus ortsbezogen und insofern im Innenraum auch installativ - und dies bisweilen sogar unter Verwendung unbearbeiteter Steine -, doch besetzen bzw. gestalten sie meist nur einen klar definierten Teil der zur Verfügung stehenden Räumlichkeit und haben selbst bei mehrteiligen Arbeiten stets Einzelwerkcharakter.
Die Arbeiten Kitzbihlers stehen in der Tradition konkreter wie auch minimalistischer Kunst, da sie im weitesten Sinn deren Grundsätze der Autoreferenzialität bestätigen. Sie stellen nichts dar außer sich selbst. Dies heißt jedoch nicht, daß sie keine über die Form hinausweisende Bedeutung haben könnten. Zudem liegen ihnen hinsichtlich Teilung, Öffnung und Neuordnung mathematische Operationen meist sehr allgemeiner Art zugrunde. Allerdings ist ihnen sowohl die Vorherrschaft der strengen Geometrie, z.B. manifestiert in ausschließlicher Rechtwinkligkeit und bevorzugter Verwendung des Quadrats als Ordnungsfigur, als auch jeglicher geradezu klinisch-aseptische Purismus der Ausführung fremd, der sich etwa in der Unterdrückung der Materialqualitäten in der konkreten und minimalistischen Kunst manifestiert hat.
Kitzbihlers Arbeiten zeigen nicht nur offen ihre Materialität, sondern diese ist oft sogar wesensmäßiger Bestandteil, wenn nicht sogar Begründung ihrer Existenz. In der Offenlegung der die menschliche Sinneswahrnehmung in mehrfacher Weise stimulierenden Materialität, die jeder konkreten oder auch minimalistischen Kunst wesensfremd wäre, manifestiert sich ein deutlicher anthropologischer Anspruch. Dieser findet sich darüberhinaus auch in der Art der auf allgemeine menschliche Maße beziehbaren Proportionierung der Werke.
Mit seinem künstlerischen Anliegen steht Kitzbihler keineswegs allein, da sich seit etwa den späten 1960er, frühen 70er Jahren eine starke Tendenz zu bildhauerischen Lösungen beobachten läßt, die in eine ähnliche Richtung zielen. Seine Steinbildhauerei kann in engem Kontext zu Werken anderer, mit dem gleichen Materialspektrum arbeitenden Künstlern gesehen werden, die, jeder auf je eigene Weise, verschiedene heutige Aspekte einer wesensmäßigen Steinbearbeitung erforschen. Zu nennen wären hier für den deutschsprachigen Raum beispielsweise Ulrich Rückriem, Nikolaus Gerhart, Michael Seeling, Pi Ledergerber oder Jinmo Kang. Die Grundkonstante von Jochen Kitzbihlers Schaffen ist dabei der Monolith, also die kompakte, kohärente Steinmasse.
(.....kompletter Text siehe Download unten dt./engl)
Matthias Bleyl/Berlin
Monolithic systems and the site-specific in the work of Jochen Kitzbihler
Jochen Kitzbihler is an authentic stone sculptor. Even though he has produced temporary room installations featuring wood rather than stone, both his approach and objective are essentially monolithic in nature; this applies equally to indoor installations, outdoor projects and also his photography. In more simple terms you could say that stone is what interests him; he has a sculptural approach to it, and his works are site-specific.
Sculpture can be described as a subtractive technique, since it presupposes starting with a solid block, whether of stone, wood or a similarly hard material, from which material is hewn away or subtracted. As such it forms a sharp contrast to plastic arts techniques. In this sense, Kitzbihler most certainly pursues a traditional strategy, given that he begins with a solid block of stone or monolith and treats them in the strictest sense of the word, sculpturally. This is no longer achieved using a hammer and chisel but state-of-the-art technology. However, this statement needs to be qualified somewhat: Today, cutting stones with a saw is effectively no more than accelerated chiseling at the mi-cro-level since each saw-tooth acts on the stone like a small strike with the chisel and virtually pulverizes it at tremendous speed. Kitzbihler splits, saws and grinds the stone, and the results of his treatment are not room-filling installations featuring several materials such as those favored in recent decades in the international art scene. Admittedly, many of Kitzbihler’s works are very much site-specific and his indoor works can also be described as installations, occasionally even featuring un-hewn stones, and yet they typically occupy or structure only a clearly defined section of the available interior and even the multi-part works always have the character of solo works.
Kitzbihler’s works stand in the tradition of concrete and also Minimalist art, since in the broadest sense they confirm their self-referential principles. They represent nothing apart from themselves. However, this is not to say that they have no meaning beyond their actual form. Moreover, as regards division, opening and re-ordering, they are usually subject to very general mathematical operations. However, what is alien to them is both the supremacy of strict geometry (manifested say in the exclusive use of right angles and preference for the square as a structuring figure), but also that virtually clinical-aseptic purism of execution, which is expressed for example in the suppression of material qualities in concrete and Minimalist art.
(complete text, Engl./Ger. see download below)
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