Gedenkskulptur für die Jüdischen Opfer des Nationalsozialismus in Mannheim 2003
Planken vor P2 | Glas, Edelstahl, Licht | Realisierung in planerischer Kooperation mit Prof. Helmut Striffler | 300 x 300 x 300 cm | Fotografie, Bild 1: Martin Albrecht †, Bild 2,3,4,5,6: Kathrin Schwab
Mannheims blinder Fleck - Dialektische Irritation: Jochen Kitzbihlers Gedenkkristall in der Fußgängerzone zwischen Brezelbub und Eisverkäufer
Enrico Santifaller, 10. Juli 2006 Frankfurter Allgemeine Zeitung
Eine Störung im visuellen Chaos, ein brillant-bleicher Klecks inmitten kommerzieller Stadtraummöblierung, ein fahl-fragiler Flicken unter all den bunten Aufgeregtheiten einer Einkaufsmeile: Der gläserne Kubus auf den Mannheimer Planken ist durchsichtig und wirkt doch als Monolith, scheint grazil und zart und hält doch dem Aufprall von Motorrädern stand, schafft einen eigenen, in sich gekehrten Raum und steht dennoch mitten im Leben zwischen Brezelbub und Eisverkäufer, Trambahnhaltestelle und Kaufhaus.
Am eindringlichsten ist die Gedenkskulptur für die jüdischen Opfer des Nationalsozialismus in Mannheim abends oder nachts: Durch ein Dutzend Leuchtstoffröhren von unten angestrahlt, wirkt das Artefakt von weitem als irisierendes Lichtfeld. Ein scheinbar schwebender Schrein der Erinnerung, auf dessen Wänden über zweitausend Namen in Spiegelschrift eingraviert wurden - Namen von jüdischen Mannheimern, die die Gestapo in einer Aktion der regionalen Gauleiter Wagner und Bürckel Ende Oktober 1940 unter Beifall der Bevölkerung am helllichten Tag zusammentrieb und anschließend ins südfranzösische Gurs verschleppte.
Konzipiert hat das Mahnmal der Bildhauer Jochen Kitzbihler. Für die Überwindung einer ganzen Reihe bürokratischer und technischer Schwierigkeiten war allerdings die Unterstützung des Architekten und Mentors Helmut Striffler sowie des Darmstädter Statik Professors Johann-Dietrich Wörner nötig. Erst mit ihrer Hilfe erhielt das Künstlerische Konzept die nötige architektonische Stringenz, um die reine Geometrie eines Glasquaders von drei Meter Kantenlänge zu realisieren, der sich ohne Sprossen oder Verstrebungen mit einem kaum wahrnehmbaren Winkel von drei Grad gegen die Mitte des Paradeplatzes neigt.
Die Reduktion auf den beinahe immateriellen Körper, der gleichsam ein Quadrat des Gedenkens aus der Mannheimer Quadrate Stadt herausstanzt, schafft die Distanz zum trivialen Kontext. Trotzdem benutzt Kitzbihler die orthogonale Struktur der Umgebung als Folie, um durch die leichte Schräge des Würfels und eine Drehung des die Grundfläche bildenden Quadrats das Aus-dem -Lot-Geratene zu verdeutlichen.
Kitzbihlers bevorzugtes Material ist gewöhnlich der gebrochene und gesägte Stein, den er weitgehend unbearbeitet lässt. Nur mit äußerst dezenten Eingriffen und einer sorgfältigen Platzierung im Raum verdichtet er das Ruppige und Schroffe seiner Steine zur künstlerischen Aussage. Bei "transversal" etwa an der Europabrücke in Kehl schichtete er vierundzwanzig quadratische Blöcke aus Vogesen- und Schwarzwaldgranit im Wechsel zu einer 11,70 Meter hohen Skulptur auf. Jeder Stein wurde um die Mittelachse leicht gedreht, so dass in der Übereinander Projizierung von erstem und letztem Block ein achteckiger Stern entsteht - genau jene Form, die Vauban für seine auf der anderen Rheinseite gelegene, Straßburg vorgelagerte Festungsanlage geplant hatte. Für die Rauminstallation "Im Inneren" kombinierte Kitzbihler Kalkbruchsteine mit einem Lasergerät, das einen scharfen, rot-horizontalen Lichtstreifen auf die Gesteinsbrocken wirft, sie so wie aufgeschnitten wirken und den Betrachter die schon kristallisierte, eben noch glühende Magma erahnen lässt.
Die stille, vielschichtige Konzentration mit ihrer aufs Äußerste getriebenen Reduktion gibt denn auch dem Glaskristall auf den Planken seine Kraft und Eindringlichkeit. Kitzbihler setzt nicht auf laute, mit der didaktischen Keule schwingende Inszenierung des Schreckens, nicht auf narratives Material wie Cortenstahl. Die glatte, die kühle beinahe gefrorene Eleganz sowie mit bleistiftdünnen Profilen gefasstes Glas, das keine Patina ansetzt und somit überzeitlich bleibt, erzeigen das Verstörende des monolithischen Leerraums.
Die dialektische Irritation der schieren Geometrie und ihrer lichterfüllten Auflösung, so kompliziert sie für ein Einkaufspublikum klingt, verfehlt ihre Wirkung nicht: Wohl auch dank der prominenten Platzierung auf den Planken wurde die Skulptur seit ihrer Enthüllung weder beschmiert noch beschädigt. Bisher jedenfalls, was auch die Folge der Tatsache sein mag, dass das Mannheimer Mahnmal im Banne der Berliner Holocaust-Gedenkstätte bei seiner Fertigstellung publizistisch vollig unbeachtet blieb.